Andrei Kolmogorow (1903 – 1987) war ein sowjetischer Mathematiker und einer der bedeutendsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts. Mit seinen drei Axiomen haben wir ein Grundgerüst für unsere Arbeit mit der Wahrscheinlichkeit.

Axiom 1 von Kolmogorow

Wenn wir mit \(\Omega\) die Menge aller möglichen Ergebnisse bezeichnen, dann hat ein Ergebnis \(E\) eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, die wir mit \(P(E)\) bezeichnen.

Dieser Wahrscheinlichkeit können wir einen Wert zuweisen. Wobei gilt:

  • \(P(E)=0\) : Die Wahrscheinlichkeit ist null, d.h. das Ereignis \(E\) kann gar nicht vorkommen
  • \(P(E)=1\) : Die Wahrscheinlichkeit ist 1 bzw. 100% und es ist somit garantiert, dass das Ereignis \(E\) eintreffen wird
  • \(0 < P(E) < 1\) : Die Wahrscheinlichkeit \(P\) des Ereignisses \(E\) ist irgendwo zwischen 0% (gar nicht möglich) und 100% (garantiert). Das ist natürlich der häufigste Fall.

Kolmogorow stellte mit seinem ersten Axiom fest, dass für alle Ereignisse, die überhaupt möglich sind (und somit Teil der Menge \(\Omega\) sind), die Wahrscheinlichkeit null oder mehr sein kann:

\[ 0 \leq P(E) \leq 1 \quad \forall E \subset \Omega \]

Auf der rechten Seite steht “für alle \((\forall)\) Ereignisse \(E\), die Teilmenge von \(\Omega\) sind.”

Mit diesem Axiom halten wir einfach fest, dass wir mit der Wahrscheinlichkeit \(P\) eine Zahl zwischen 0 und 1 bzw. zwischen 0% und 100% meinen.

Axiom 2 von Kolmogorow

Die Wahrscheinlichkeit, dass das nächste Ereignis, Teil der Menge \(\Omega\) ist und somit stattfindet, ist 100% bzw. 1.

Natürlich muss das so sein, denn die Menge \(\Omega\) beschreibt ja die Menge aller möglichen Ereignisse.

\[ P(\Omega) = 1 \]

Sobald wir uns auf eine Teilmenge davon beschränken, z.B. ein mögliches Ereignis \(E\), ist die Wahrscheinlichkeit zwischen 0% und 100% (Axiom 1):

\[ 0 \leq P(E) \leq 1 \quad \forall E \subset \Omega \]

Beispiel

Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, beim gleichzeitigen Wurf von zwei Münzen, genau “Kopf und Kopf” zu erhalten? Vergleiche mit den Axiomen 1 und 2 von Kolmogorow.

Es gibt 4 mögliche Ereignisse, d.h. die Menge \(\Omega\) hat vier Elemente, wobei wir mit \(K\) Kopf und mit \(Z\) Zahl meinen:

\[ \Omega = \Big\{ KK, KZ, ZK, ZZ \Big\} \]

Die Wahrscheinlichkeit dieser vier Kombinationen ist jeweils gleich wahrscheinlich, d.h. je 25%. Somit gilt für die Wahrscheinlichkeit für das Ereignis \(KK\):

\[ P(KK) = \frac{1}{4} \]

Dieser Wert ist, gemäss Kolmogorow 1, tatsächlich zwischen 0% und 100%:

\[ 0\% \leq P(E) \leq 100\% \]

Die Wahrscheinlichkeit, dass wir KK, KZ, ZK oder ZZ werfen, ist 100%, denn eine andere Möglichkeit gibt es gar nicht. Es ist somit 100%-ig sicher, dass eines von diesen Ereignisse stattfinden wird. Hier gilt: \(P(\Omega) = 1\).

Beispiel

Berechne \(P(\overline{E})\) für den Fall, dass \(P(E) = 80\%\).

Wir wissen, dass das Ereignis \(\overline{E}\) das Gegenereignis von \(E\) ist. Die Elemente der Menge \(E\) (Ergebnisse) und die Elemente der Menge \(\overline{E}\) bilden zusammen alle möglichen Elemente und somit den Ergebnisraum \(\Omega\):

\[ E \cup \overline{E} = \Omega \]

oder anders ausgedrückt: \(\overline{E}\) ist Menge aller Ergebnisse (Ergebnisraum) ohne die Ergebnisse \(E\):

\[ \overline{E} = \Omega \backslash E \]

Mit dem zweiten Axiom von Kolmogorow erhalten wir:

\[ P(\overline{E}) = P(\Omega) – P(E) \]

\[ P(\overline{E}) = 1 – 0.8 = \underline{0.2} \]

Die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses \(\overline{E}\) ist somit 20%.

Axiom 3 von Kolmogorow

Kolmogorows drittes Axiom betrifft die Wahrscheinlichkeit von unvereinbaren Ereignismengen, die keine gemeinsame Schnittmenge haben bzw. disjunkt sind.

Axiom 3:

\[ P(A \cup B) = P(A) + P(B) \]

für disjunkte Ereignismengen \(A\) und \(B\), d.h.

\[ A \cap B = \{\;\} \]

Beispiel

Zeige mit dem dritten Axiom von Kolmogorow, dass die Wahrscheinlichkeit, eine gerade Zahl zu würfeln, genau 50% entspricht.

Beim Würfeln mit einem Würfel haben wir die folgenden Elementarereignisse:

\[ E_1 = \{ 1 \}, \quad E_2 = \{ 2 \}, \quad E_3 = \{ 3 \} \]

\[ E_4 = \{ 4 \}, \quad E_5 = \{ 5 \}, \quad E_6 = \{ 6 \} \]

Wenn der Würfel eine bestimmte Augenzahl zeigt, dann sind die anderen Augenzahlen damit automatisch ausgeschlossen. Die Elementarereignisse \(E_i\) sind deshalb disjunkt, d.h. sie überlappen sich nicht. Sie haben leere Schnittmengen, ausser wenn sie mit sich selber geschnitten werden. Mathematisch wird das so geschrieben:

\[ E_i \cap E_j = \{ \, \} \quad (i \neq j) \]

Das Ereignis \(A\), das uns interessiert ist:

\[ A = E_2 \cup E_4 \cup E_6 = \{ 2,\, 4,\, 6\} \]

Da die Teilmengen \(E_2\), \(E_4\) und \(E_6\) disjunkt sind, können wir Kolmogorow 3 anwenden:

\[ P(A) = P(E_2) + P(E_4) + P(E_6) \]

\[ P(A) = \frac{1}{6} + \frac{1}{6} + \frac{1}{6} \; = \; \underline{\frac{1}{2}} \]

Die Wahrscheinlichkeit mit einem Würfel eine gerade Zahl zu würfeln, beträgt 50%.

Elementarereignisse \(\{\omega_i\}\) sind immer disjunkt, so dass wir die Wahrscheinlichkeiten von Elementarereignissen immer summieren können:

\[ E = \Big\{\{\omega_1\}, \{\omega_2\}, …, \{\omega_n\}\Big\} \quad \rightarrow \quad P(E) = P(\{\omega_1\}) + P(\{\omega_2\}) + … + P(\{\omega_n\}) \]

Beispiel

Eine Urne enthält 8 Kugeln, eine Kugel ist rot (\(R\)), zwei Kugeln sind blau (\(B\)), die restlichen Kugeln sind grün (\(G\)). Nun wird eine Kugel zufällig gezogen. Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist diese grün, blau oder rot?

Ereignisse:

  • \(A\) = Die gezogene Kugel ist grün
  • \(B\) = Die gezogene Kugel ist blau
  • \(C\) = Die gezogene Kugel ist rot

Zeichne einen Ereignisbaum und berechne die Wahrscheinlichkeit mit Hilfe des Axioms 3 von Kolmogorow.

Wir können jede Kugel von 1 bis 8 nummerieren. Das Ziehen der Kugel 1 entspricht dem Elementarereignis \(E_1\). Da wir 8 gleichwertige Kugeln haben, gilt:

\[ P(E_i) = \frac{1}{8} \]

Wahrscheinlichkeiten von Elementarereignissen addieren sich zur Wahrscheinlichkeit 100%
Wahrscheinlichkeiten von Elementarereignissen addieren sich zur Wahrscheinlichkeit 100%

Die ersten fünf Kugeln sind grün, d.h. für das Ereignis \(A\) gilt:

\[ A = E_1 \cup E_2 \cup E_3 \cup E_4 \cup E_5 \]

Da die Elementarereignisse immer disjunkt sind, wie auch hier, können wir Kolmogorow 3 anwenden. Die Wahrscheinlichkeit \(A\) ist die Summe der Wahrscheinlichkeiten der Elementarereignisse \(E_1\) bis \(E_5\):

\[ P(A) = P(E_1) + P(E_2) + P(E_3) + P(E_4) + P(E_5) \]

\[ P(A) = 5 \cdot \frac{1}{8} \; = \; \underline{\frac{5}{8}} \]

Für das Ereignis \(B\), eine blaue Kugel zu ziehen, gilt:

\[ B = E_6 \cup E_7 \]

\[ P(B) = P(E_6) + P(E_7) = \frac{1}{8} + \frac{1}{8} \; = \; \underline{\frac{2}{8}} \]

Schliesslich haben wir für das Ziehen einer roten Kugel \(R\):

\[ R = E_8 \quad \rightarrow \quad P(R) \; = \; \underline{\frac{1}{8}} \]

Wahrscheinlichkeiten von sich gegenseitig ausschliessenden Ereignissen addieren sich zur Wahrscheinlichkeit 100%
Wahrscheinlichkeiten von sich gegenseitig ausschliessenden Ereignissen addieren sich zur Wahrscheinlichkeit 100%

Die Summe der Wahrscheinlichkeiten sämtlicher Äste eines Ereignisbaums ist 1, wenn dieser Ereignisbaum sämtliche möglichen Fälle abdeckt.

Pfadregel: Die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses, das mehrere Elementarereignisse beinhaltet und somit durch mehrere Pfade erreicht wird, entspricht der Summe der Wahrscheinlichkeiten dieser Elementarereignisse.

Aufgabensammlung

  • Wahrscheinlichkeit (5054) – Aufg. 1

    4 Teilaufgaben (pdf/Video-Lösung):
    Französisches Roulette (Textaufgabe)

  • Wahrscheinlichkeit (5054) – Aufg. 2

    5 Teilaufgaben (pdf/Video-Lösung):
    Zwei Würfel gleichzeitig geworfen (Textaufgabe)

  • Wahrscheinlichkeit (5054) – Aufg. 3

    3 Teilaufgaben (pdf/Video-Lösung):
    Tombola (Textaufgabe)

  • Wahrscheinlichkeit (5054) – Aufg. 4

    3 Teilaufgaben (pdf/Video-Lösung):
    Zwei Münzen geworfen (Textaufgabe)

  • Wahrscheinlichkeit (5054) – Aufg. 5

    1 Aufgabe (pdf/Video-Lösung):
    Baumdiagramm

  • Wahrscheinlichkeit (5054) – Aufg. 6

    3 Teilaufgaben (pdf/Video-Lösung):
    Bogenschiessen (Textaufgabe)

Lernziele

  • Du weisst, dass die Wahrscheinlichkeit ein theoretischer Wert zwischen 0 und 1 ist, der bei einer sehr grossen Anzahl Versuche durch die relative Häufigkeit annähernd erreicht wird.
  • Du kennst das dritte Axiom von Kolmogorow und kannst es in eigene Worte fassen. Insbesondere weisst Du, warum dieses Axiom für Elementarereignisse so wichtig ist.

Weitere Links

Wahrscheinlichkeitstheorie – Axiome von Kolmogorov (Wikipedia)

Autor dieses Artikels:

David John Brunner

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