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Die Kettenregel wird eingesetzt, wenn eine Teilfunktion in einer anderen Funktion verschachtelt ist. Die gebräuchliche Bezeichnung ist verkettet, obschon ich den Begriff der Verschachtelung logischer finden würde.
Wir schauen uns ein Beispiel an: Die Funktion \(g(u)=\tan(u)\) kann einfach mit der Ableitungsregel für den Tangens abgeleitet werden:
\[ g'(u) = \frac{d}{du}\big(\tan(u)\big) = \frac{1}{cos^2(u)} \]
Im Gegensatz dazu kann aber die Funktion \(f(x)=\tan(\frac{x^2}{9})\) nicht einfach so abgeleitet werden:
\[ f'(x) = \frac{d}{dx}\Bigg(\tan\Big(\frac{x^2}{9}\Big)\Bigg) \neq \frac{1}{cos^2\Big(\frac{x^2}{9}\Big)} \qquad \text{(!)} \]
Wir könnten zwar argumentieren, dass \(\frac{x^2}{9}\) einfach eine Funktion \(u(x) = \frac{x^2}{9}\) ist. Dennoch wäre die folgende Ableitung falsch:
\[ f'(x) = \frac{d}{dx}\Big(\tan\big(u(x)\big)\Big) \neq \frac{1}{cos^2\big(u(x)\big)} \qquad \text{(!)} \]
Das Problem liegt darin, dass wir nach \(x\) ableiten und nicht nach \(u\). Die Variable \(x\) ist nicht das Argument der Tangens-Funktion, sondern das Argument der inneren Teilfunktion \(u(x)=\frac{x^2}{9}\), die im Tangens verschachtelt ist.
Zusammenfassend haben wir also eine Funktion \(u\) von \(x\), die in einer Funktion von \(u\) (Tangens) verschachtelt ist. Wenn wir den Tangens nach \(u\) ableiten, dann ist das einfach. Wenn wir aber in so einem Fall den Tangens nach \(x\) ableiten müssen, dann müssen wir in einem ersten Schritt den Tangens nach \(u\) ableiten (äussere Ableitung) und dann \(u(x)\) nach \(x\) (innere Ableitung). In solchen verschachtelten Situationen werden wir die Kettenregel an.
Wir stellen den Differentialquotienten auf:
\[ f'(x) = \lim_{\Delta x \rightarrow 0}\Big(\frac{\Delta f}{\Delta x}\Big) \]
Jetzt können wir mit \(\Delta u\) erweitern und die Eigenschaft (2) für Grenzwerte benutzen:
\[ f'(x) = \lim_{\Delta x \rightarrow 0}\Big(\frac{\Delta f}{\Delta u} \cdot \frac{\Delta u}{\Delta x}\Big) \]
\[ = \lim_{\Delta u \rightarrow 0}\Big(\frac{\Delta f}{\Delta u}\Big) \cdot \lim_{\Delta x \rightarrow 0}\Big(\frac{\Delta u}{\Delta x}\Big) \]
Den einen Grenzwert haben wir umbenannt, denn wenn \(\Delta x\) gegen null verläuft, dann wird auch \(\Delta u\) gegen null gehen. Der erste Faktor ist jetzt aber die Ableitung von \(f\) nach \(u\). Der zweite Faktor ist die Ableitung von \(u\) nach \(x\):
\[ f'(x) = \frac{d f(x)}{dx} = \frac{d f\big(u(x)\big)}{du} \cdot \frac{d u(x)}{dx} \]
\[ = f’\big(u(x)\big) \cdot u'(x) \]
Beachte, dass \(f'(u)\) die Ableitung von \(f\) nach \(u\) bedeutet, während \(f'(x)\) die Ableitung von \(f\) nach \(x\) ist.
Kettenregel: Die Ableitung einer Funktion \(f(x)=f\big(u(x)\big)\) nach \(x\) ist gleich der Ableitung von \(f\) nach \(u\) (äussere Ableitung) multipliziert mit der inneren Ableitung von \(u\) nach \(x\):
\[ f(x) = f\big(u(x)\big) \]
\[ \rightarrow f'(x) = f’\big(u\big) \cdot u'(x) \]
Beispiel
Leite die folgende Funktion ab:
\[ f(x) = \sin^2(x) \]
Wir haben eine Potenz und darin verschachtelt, einen Sinus:
\[ f(x) = u^2(x), \qquad u(x)=\sin(x) \]
Zuerst leiten wir die Potenz ab (äussere Ableitung), dann multiplizieren wir mit der inneren Ableitung:
\[ f'(u) = 2u, \qquad u'(x)=\cos(x) \]
\[ f'(x) = 2u(x) \cdot u'(x) \]
\[ = 2\sin(x) \cdot \cos(x) \]
Mit Hilfe einer Identität des Sinus’ können wir diesen Ausdruck noch weiter vereinfachen:
\[ f'(x) = \underline{ \sin(2x) } \]
Beispiel
Leite die folgende Funktion ab:
\[ f(x) = e^{-4x} \]
Wir haben eine Exponentialfunktion \(f(u)=e^u\) und darin verschachtelt, eine lineare Funktion \(u(x)=-4x\). wir bilden zuerst die äussere Ableitung:
\[ f(u) = e^u \quad \rightarrow \quad f'(u) = e^u \]
Dann bilden wir die innere Ableitung:
\[ u'(x) = -4 \]
Schliesslich multiplizieren wir die beiden:
\[ f'(x) = e^u \cdot (-4) = \underline{-4e^{-4x}} \]
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