Allein schon der Begriff “Stehende Welle” ist überraschend! Gibt es Wellen, die stehen bleiben? Die Antwort ist “jein”! Wellen haben ihre Wellenausbreitungs-geschwindigkeit und die kann nicht null sein, denn sonst würde die Welle eine wichtige Eigenschaft verlieren, die sie erst zur Welle macht, nämlich den Transport von Energie. Dennoch gibt es Wellen, die nicht wegkommen, weil sie eingeschlossen worden sind. Zudem sehen sie mehr wie Schwingungen aus, als wie Wellen.
Stehende Wellen sind Wellen, die in einem beschränkten Bereich eingeschlossen sind und hin und her laufen. Stehende Wellen sind kaum als solche sichtbar, sondern werden meist als Schwingung des betreffenden Bereichs beschrieben.
Stehende Wellen bei Saiteninstrumenten
Bei Saiteninstrumenten ist eine Saite zwischen zwei Punkten fix eingespannt. Eine Seilwelle kann auf der Saite laufen, wird jedoch an beiden Enden reflektiert, so dass sie die Saite nie verlassen kann. Natürlich verschwindet die Welle allmählich, indem sie einen kleinen Teil ihrer Energie durch Reibungseffekte stetig in Form von Wärme verliert, bis die ganze Energie verloren ist.
Die hin und her laufenden Wellen überlagern sich jeweils, so dass schliesslich nur noch die folgenden Saitenbilder übrig bleiben, bzw. beliebige Überlagerungen von diesen.
Die einfachste und offensichtlichste Form ist diejenige von einem Bauch und zwei Knoten an den beiden Enden der Saite. Beachte, dass der eine Bauch eigentlich nichts anderes als die halbe Welle ist, d.h. die halbe Wellenlänge \(\frac{1}{2} \lambda\) entspricht der doppelten Saitenlänge \(L\). Wir setzen den Index “eins” für diese Wellenlänge, weil es weitere geben wird:
\[ \frac{1}{2} \cdot \lambda_1 = L \]
Es gibt aber weitere Wellenlängen, die auftreten können. Es ist z.B. auch denkbar, dass wir in der Mitte der Saite einen weiteren Knotenpunkt der Welle haben. In diesem Fall passt die Wellenlänge einmal genau auf die Saite:
\[ 1 \cdot \lambda_2 = L \]
Genauso zwei zwei Knoten und drei Bäuche denkbar:
\[ \frac{3}{2} \cdot \lambda_3 = L \]
Wir können verallgemeinern und erhalten:
\[ \frac{n}{2} \cdot \lambda_n = L \]
Für die Umrechnung der Wellenlänge \(\lambda\) in die Frequenz \(f\) benutzen wir \(c=\lambda \cdot f\):
\[ \frac{n}{2} \cdot \frac{c}{f_n} = L \]
Das lösen wir nach der Frequenz \(f_n\) auf:
\[ f_n = \frac{n}{2} \cdot \frac{c}{L} = n \cdot \frac{c}{2L} \]
Die unterste Frequenz ist für \(n=1\):
\[ f_1 = \frac{c}{2L} \]
Somit können wir im Ausdruck für \(f_n\) die rechte Seite mit \(f_1\) ersetzen:
\[ f_n = n \cdot f_1 \]
Die Frequenzen \(f_n\) sind ganzzahlige Vielfache der Grundfrequenz \(f_1\).
In einem eingeschlossenen Bereich (z.B. eingespannte Saite der Länge \(L\)) heben sich Wellen durch Überlagerung gegenseitig auf. Ein paar spezielle Wellenlängen interferieren konstruktiv. Sie bleiben im eingeschlossenen Bereich als stehende Wellen und sind für die Schwingung der Saite verantwortlich.
Die Frequenzen \(f_n\) der stehenden Wellen sind ganzzahlige Vielfache der Grundfrequenz \(f_1\) :
\[ f_n = n \cdot f_1 \]
wobei
\[ f_1 = \frac{c}{2L} \]
Die Vielfache der Hälften der Wellenlängen \(\lambda_n\) passen in die Saitenlänge \(L\):
\[ \frac{n}{2} \cdot \lambda_n = L \]
Beachte, dass wir mit einer kürzeren Saite \(L\) höhere Frequenzen \(f\) erreichen, da ein kleineres \(L\) im Nenner des Bruchs zu einer grösseren Grundfrequenz \(f_1\) führt.
Bei Saiteninstrumenten machen wir das mit dem Griff. Wir verkürzen damit den Bereich und erzielen einen höheren Ton. Den Grundton \(f_1\) können wir auch erhöhen, indem wir die Wellengeschwindigkeit \(c\) erhöhen. Das kann erreicht werden durch eine höhere Spannkraft. Beim Stimmen der Saiteninstrumente wird die Spannkraft so eingestellt, dass mithilfe der Wellengeschwindigkeit \(c\) die richtige Grundfrequenz \(f_1\) erreicht wird.
Im Frequenzspektrum eines Saiteninstruments zeichnen sich die ganzzahligen Vielfache \(f_n\) der Grundfrequenz \(f_1\) aus. Reale Messungen enthalten natürlich noch viele andere Frequenzen (Rauschen). Das typische Bild sieht aber bei allen Saiteninstrumenten wie in der folgenden Abbildung aus.
Stehende Wellen bei einer Glocke
Wenn wir den unteren Rand einer Glocke als eine kreisförmig geschlossene Saite betrachten, können wir uns stehende Wellen auf dem Glockenrand vorstellen. Die transversalen Wellen wandern auf dem Rand der Glocke im Uhrzeigersinn bzw. im Gegenuhrzeigersinn.
Die Grundschwingung oder Grundfrequenz finden wir dieses Mal mit zwei Knoten in der folgenden Abbildung:
Hier können wir sagen, dass die ganze Wellenlänge \(\lambda\), auf dem Umfang des Kreises \(U\) Platz gefunden hat:
\[ \lambda_1 = U \]
Wenn wir zu vier Knoten wechseln erhalten wir:
\[ 2 \cdot \lambda_2 = U \]
Beachte, dass drei Knoten keinen Sinn machen. Wenn wir \(1 \frac{1}{2}\) Wellenlängen auf dem Umfang verteilen, überlagern wir nach einer Runde einen Wellenberg mit einem Wellental. Die Welle würde sich selbst auslöschen. Das Gleiche gilt natürlich für alle ungeraden Anzahlen von Knoten.
Die nächsten beiden höheren Frequenzen erhalten wir für 6 und für 8 Knoten:
\[ 3 \cdot \lambda_3 = U \]
\[ 4 \cdot \lambda_4 = U \]
Verallgemeinert erhalten wir:
\[ n \cdot \lambda_n = U \]
Wir können auch hier die Wellenlänge mit der Frequenz ersetzen mit \(c=\lambda \cdot f\):
\[ n \cdot \frac{c}{f_n} = U \]
\[ f_n = n \cdot \frac{c}{U} \]
Wir sehen, dass wir mit einer grösseren Wellengeschwindigkeit \(c\) einen höheren Glockenton erhalten, denn der Zähler wir mit grösserem \(c\) auch grösser, so dass die Frequenz \(f\) grösser wird. Das können wir mit einem leichteren und steiferen Material erreichen. Steife und leichte Materialien haben auch einen höheren Ton, wenn wir sie leicht anschlagen.
Je grösser die Glocke, desto grösser ist der Umfang \(U\), so dass damit der Bruch in seinem Wert kleiner wird und die Frequenz auch. Damit erhalten wir einen tieferen Ton, was wir aus Erfahrung bestätigen können: Je grösser die Glocke, desto tiefer ist ihr Ton.
Wir sehen aber auch, dass grosse Glocken in der Lage sind, hohe Töne zu erzeugen. Das sind die sog. Harmonischen, die ganzzahligen Vielfache der Grundfrequenz. Diese hohen Töne sind zwar weit schwächer als der Grundton. Dennoch kann man sie in einem Frequenzspektrum wiederfinden.
Stehende Wellen in einseitig offenen Röhren
Wir wissen, dass Wellen an Grenzflächen zweier Medien reflektiert, transmittiert und auch gebrochen werden können. Die Grenzfläche zeichnet sich durch eine abrupte Änderung der Wellengeschwindigkeit \(c\) von einem Medium zum anderen, aus.
Für eine Luftsäule in einer einseitig verschlossenen Röhre liegt es auf der Hand, dass eine Schallwelle am verschlossenen Ende reflektieren werden muss. Wie bei einer einseitig eingespannten Saite zeichnen wir einen Knoten am verschlossenen Ende.
Da der Druck im Rohr variiert und damit anders ist, als in der Umgebungsluft, ist auch die Wellengeschwindigkeit leicht unterschiedlich, denn sie hängt auch vom Druck ab. Wir haben also die Luft innen und die Luft aussen mit unterschiedlichen Wellengeschwindigkeiten: Wir haben eine Grenzfläche. Deshalb gibt es auch an einem offenen Ende Reflexion der Schallwellen!
Schallwellen können in einem einseitig geöffneten Gefäss eine stehende Welle erzeugen. Am offenen Ende reflektiert die Schallwelle, weil das offene Ende eine wellentechnische Grenzfläche darstellt (unterschiedliche Wellengeschwindigkeiten).
Das offene Ende hat einen Bauch der Welle. Am geschlossenen Ende steht ein Knoten der Welle.
Am offenen Ende zeichnen wir einen Bauch, denn der Druck kann an dieser Stelle frei einen Wert einnehmen. Aus der Zeichnung können wir jetzt herauslesen, dass im einseitig verschlossenen Rohr für die Grundschwingung eine Viertelwelle Platz hat:
\[ \frac{1}{4} \lambda_1 = L \]
Den nächsten Oberton kriegen wir durch Einführen eines Knotens. Wir haben im Rohr jetzt \(\frac{3}{4}\) einer Welle:
\[ \frac{3}{4} \lambda_3 = L \]
Das einseitig offene Rohr kennen wir vielleicht von der Panflöte, in welcher eine Luftsäule zum Schwingen gebracht wird. Aus der Chemie kennen wir die sog. Knallgasprobe für den Nachweis von Wasserstoff. Ein umgekehrtes Reagenzglas, mit Wasserstoff gefüllt, wird über eine Flamme gehalten. Der Wasserstoff entzündet sich an der Grenzfläche und es wandert eine Reaktionsfront in das Reagenzglas hinein. Das Gas im Reagenzglas wird in eine Schwingung gebracht und wir hören kurzzeitig den charakteristischen “Plop”-Ton.
Unsere Lunge entspricht auch einem “Gefäss” mit nur einer Öffnung. Tatsächlich können wir mit unserer Stimme die Luftsäule in Schwingung bringen, wobei wir einen dominierenden Grundton produzieren. Dabei entstehen auch Obertöne, deren Frequenz ganzzahlige Vielfache sind des Grundtons. Im nachfolgenden Frequenzspektrum wird dies sehr schön bestätigt.
Bei stehenden Schallwellen in einem Gefäss mit einem offenen Ende entspricht die Länge \(L\) des Gefässes einem ganzzahligen Vielfachen der Wellenlängen \(\lambda_n\) plus einem Viertel davon, damit das offene Ende einen Wellenbauch erhält:
\[ \lambda_n = \frac{4L}{n} \quad \quad n = 1,\,3,\,5,\,… \]
\[ f_n = \frac{nc}{4L} \]
Stehende Welle in beidseitig offenen Röhren
Die meisten Blasinstrumente sind an zwei Enden offen. Interessanterweise reflektiert eine Schallwelle aber auch an einem offenen Ende, so dass wir auch in einem beidseitig geöffneten Gefäss eine stehende Welle haben können!
Beide offenen enden müssen wieder einen Bauch haben. Wir zeichnen nachfolgend die Grundschwingung mit einem Knoten und gleich anschliessend den ersten Oberton mit zwei Knoten.
Die meisten Blasinstrumente erzeugen eine stehende Schallwelle in einer Röhre mit zwei offenen Enden. Die auftretenden Wellenlängen \(\lambda_n\) sind immer zwei Bruchteile der Länge \(L\):
\[ \lamda_n = \frac{2L}{n} \quad \quad n = 1,\,2,\,3,\,… \]
Für die Frequenz erhalten wir:
\[ f_n = \frac{nc}{2L} = n \cdot f_1 \]
Frequenzen in der Tonleiter
Wenn bei den Saiten- und Blasinstrumenten, wie auch bei unserer Stimme, die Frequenzen der Obertöne ganzzahlige Vielfache der Grundfrequenz sind, überrascht es uns nicht, dass das System der Tonleiter auf Vielfachen von Frequenzen beruht.
Wenn wir das hohe \(a\;(A4)\) als Startpunkt nehmen, dann hat dieser Ton die Frequenz 440 Hz. Das eine Oktave tiefere \(A3\) hat genau die halbe Frequenz, d.h. 220 Hz. Eine Oktave höher hat das \(A5\) die Frequenz 880 Hz.
Jetzt hat es in der Oktave 12 Halbtöne. Wir können jetzt aber nicht einfach die Differenz der Frequenzen durch 12 teilen, denn die Frequenz nimmt ja nicht linear zu. Wir sehen das schon an den Oktaven selber. Vom untersten \(a\) zum mittleren \(a\) nimmt die Frequenz um 220 Hz zu. Die nächste Oktave entspricht aber einer Zunahme der Frequenz um 440 Hz.
Bei den Halbtönen ist das genau gleich: Die Unterschiede der Frequenzen sind für tiefere Halbtöne kleiner als für höhere Halbtöne. Wenn wir die Addition mit der Multiplikation ersetzen, können wir für eine Oktave bzw. 12 Halbtöne verlangen, dass nach 12 “Schritten” eine Verdoppelung der Frequenz haben. Wir fordern deshalb einen Faktor \(k\), der 12-fach angewendet zu einer Verdoppelung führt:
\[ f_2 = f_1 \cdot k^{12} = f_1 \cdot 2 \]
\[ f_2 = f_1 \cdot \big( 2^{\frac{1}{12}} \big)^{12} \]
Deshalb ist der Faktor \(k\) für einen Halbtonschritt:
\[ k = 2^{\frac{1}{12}} \]
Der Ton, der eine Oktave höher liegt als ein ursprünglicher Ton, hat auch die doppelte Frequenz des ursprünglichen Tons. Da in einer Oktave es 12 Halbtonschritte gibt, wird von einem Halbton zum nächsten immer mit dem gleichen Faktor \(k\) multipliziert. wird dieser Faktor 12-fach angewendet, ist die Frequenz verdoppelt:
\[ k = 2^{\frac{1}{12}} \]
Aufgabensammlung
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